News

Tierschutz: „Wir wollen Laborversuche an Primaten reduzieren“

28.11.2024

Ein neues EU-Verbundprojekt, die Innovative Health Initiative „NHPig“, will die Effizienz und das Tierwohl in der medizinischen Sicherheitsforschung steigern. Ein Interview mit Forschungsprojektkoordinator Eckhard Wolf von der LMU

„Bei Tierversuchen ist es wichtig, die richtige Zielspezies auszuwählen“, sagt Eckhard Wolf. | © Christoph Olesinski / LMU

Seit Jahren forscht Professor Eckhard Wolf an genetisch angepassten Schweinen, die als medizinische Modellorganismen und potenzielle Organspender für den Menschen eingesetzt werden können. Im Interview stellt er das von ihm koordinierte EU-geförderte Verbundprojekt NHPig vor, in dem es unter anderem darum geht, mit solchen Schweinemodellen Tierversuche an Primaten zu reduzieren. Dafür stehen den beteiligten Forschungseinrichtungen und Unternehmen in den kommenden fünf Jahren 17,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Warum ist es wünschenswert, Affen als Labortiere zu ersetzen?

Eckhard Wolf: Die nichthumanen Primaten stehen uns entwicklungsgeschichtlich am allernächsten. Affen sind uns sehr ähnlich und infolgedessen kann man Aussagen aus Versuchen an ihnen sehr gut auf den Menschen übertragen. Andererseits bedürfen Affen aufgrund ihrer hohen kognitiven und emotionalen Komplexität aber auch unseres ganz besonderen Schutzes. Die EU schreibt deswegen gesetzlich vor, Experimente an Primaten so weit wie möglich einzuschränken.

Es gibt Arbeitsgebiete, da ist das bislang einfach nicht möglich. Ich forsche zum Beispiel im Bereich der Xenotransplantation. Bevor wir Schweineherzen oder andere Organe in den Menschen transplantieren können, müssen wir sicherstellen, dass das auch funktioniert. In diesem Zusammenhang sind nichtmenschliche Primaten – in diesem Fall Paviane – bislang ohne Alternative.

Schweine im Moorversuchsgut Badersfeld

In manchen Bereichen könnten Schweine als Modellorganismen vielleicht sogar noch besser geeignet sein als Primaten. | © LMU

Es gibt Menschen, die überzeugt sind, dass man Tierversuche gar nicht braucht.

Ich glaube, das kann sich sehr schnell ändern, wenn man selbst oder eine nahestehende Person eine neue Therapie benötigt. Dann hat jeder ein größtmögliches Interesse, dass diese Therapien wirken und keine unerwarteten Nebenwirkungen auftreten. Es gibt ja leider tragische Beispiele aus der Geschichte wie den Fall Thalidomid/Contergan: Hier hatte man das Medikament nur an Mäusen, Ratten und Kaninchen getestet, bei denen keine Komplikationen auftraten. Beim Menschen – und später auch in Tests an Affen – kam es dann jedoch zu schwerwiegenden Nebenwirkungen. Bei Tierversuchen ist es also wichtig, die richtige Zielspezies auszuwählen.

Aber das müssen nicht unbedingt immer Primaten sein?

Bei NHPig geht es um die Evaluierung der Sicherheit neuer Therapien. Das können kleine Moleküle, Antikörper oder RNAs sowie verschiedene Therapiemodalitäten sein. Bei solchen Fragestellungen können Versuche an Schweinen durchaus aussagekräftig sein. Das Ziel von NHPig ist es zu klären, in welchen Bereichen nichthumane Primaten tatsächlich durch Schweinemodelle ersetzt werden können.

Dazu generieren wir neue Reagenzien für das Schwein als Modellorganismus – zum Beispiel Antikörper oder andere diagnostische Moleküle – und wollen außerdem eine holistische Einsicht in die Biologie der Schweine gewinnen. Die Ergebnisse dieser Schweineversuche vergleichen wir mit Daten, die von Primaten-Versuchen aus der Pharmaindustrie vorliegen, um abzugleichen, wo die Übereinstimmungen sind. Das Konsortium arbeitet mit verschiedenen Mini- und Mikro-Schwein-Modellen, um für jede Fragestellung das aussagekräftigste Modell zu definieren.

News

Zoonosen: „Die Erreger warten nicht, bis wir bereit sind“

Weiterlesen

Sie verpflichten sich im Projekt dem 3R-Prinzip. Was ist das?

Das 3R-Prinzip wurde bereits in den 1950er-Jahren im Hinblick auf die tierexperimentelle Forschung konzipiert. Die drei R stehen für Replace, Reduce und Refine. Das heißt: Erstens Tierexperimente ersetzen, wo immer es möglich ist; zweitens sie damit zu reduzieren und drittens die Tierexperimente unter den bestmöglichen Bedingungen durchzuführen, sodass jedes vermeidbare Tierleid vermieden wird und die Ergebnisse aussagekräftiger werden.

Wir wollen bei NHPig auch Ersatzmodelle entwickeln, die ganz ohne Tierversuche auskommen. Zum Beispiel etablieren wir Zellkulturen von Schweinen und überprüfen, wie gut die Experimente in der Petrischale mit den Versuchen an lebenden Schweinen vergleichbar sind.

Ein weiteres Ziel ist es, Versuchsabläufe und die Haltung der Tiere zu verbessern. Es gibt ein Teilprojekt, das sich damit beschäftigt, physiologische Messungen an den Schweinen durchzuführen, ohne dass diese überhaupt etwas davon merken. Die Tiere werden mit Kameras beobachtet und tragen Westen, die zum Beispiel den Blutdruck oder die Herzfrequenz messen können.

Was passiert mit den Daten, die Sie im Zuge des Projekts sammeln und generieren?

Es wird eine große zentrale Datenbank geben, in die viele Ergebnisse hineinfließen, die bereits bei den pharmazeutischen Unternehmen und den akademischen Partnern vorliegen. Hinzu kommt der komplexe Datensatz, der im Zuge des Projekts entsteht. Basierend auf diesen Daten entwickeln wir Algorithmen, die helfen, die Sicherheit neuer Therapien zu bewerten und geeignete Versuchstiere auszuwählen. Außerdem soll sichergestellt werden, dass Versuche nicht doppelt gemacht werden, weil in dieser Datenbank alles zusammenfließt, was an Informationen bereits vorhanden ist.

Wie ist das Konsortium zusammengesetzt und welche Institutionen sind beteiligt?

Das Konsortium zeichnet sich dadurch aus, dass darin sehr viele komplementäre Expertisen zusammenkommen. Der akademische Teil setzt sich aus neun Universitäten und Forschungsinstitutionen zusammen. Eigentlich eine Gruppierung, die sich bereits vor vielen Jahren formiert hat. Ich würde mal behaupten, wir haben es geschafft, die besten Schweineforscher Europas zusammenzubringen. Außerdem beteiligen sich alle großen Pharma-Institutionen an dem Projekt. In der Pharmaindustrie besteht ein großes Interesse daran, solche neuen Modelle zu evaluieren und möglicherweise einzusetzen.

Warum interessiert sich auch die Pharmaindustrie so für das Projekt?

Zum einen sind es wirtschaftliche Interessen, zum anderen steckt aber auch das Ziel dahinter, die Sicherheitsforschung möglichst in Europa zu halten. Ansonsten müsste man in Zukunft möglicherweise nach Asien ausweichen. In China gibt es riesige Primaten-Versuchseinrichtungen, wo das Thema Tierwohl nicht unbedingt so großgeschrieben wird wie in Europa. Die europäische Pharmaindustrie beteiligt sich an dem neuen Projekt mit einem beträchtlichen Anteil finanzieller Ressourcen – mit ungefähr genauso viel Geld, wie von der EU kommt. Nicht zu unterschätzen ist auch der große Datenschatz, den die Pharmaindustrie uns für die zentrale Datenbank zur Verfügung stellt.

News

Herzenswünsche: Schweine als potenzielle Organspender?

Weiterlesen

Wo sehen Sie das größte Potenzial, Schweine statt Primaten als Modell zu etablieren?

In verschiedenen Bereichen der Sicherheitsforschung. In unserem Konsortium gibt es zum Beispiel ein Schweinemodell, das keine Abwehrreaktion gegen bestimmte menschliche Antikörper zeigt. Mit diesem Modell könnte man die Sicherheit von Antikörpern überprüfen, die vielfach in der Tumortherapie und anderen Bereichen zum Einsatz kommen – vielleicht sogar noch besser als in Primaten.

Wir haben selbst ein Mikro-Schwein generiert, in dem der Wachstumshormonrezeptor ausgeschaltet ist. Dadurch liegt das adulte Körpergewicht der Schweine bei weniger als 10 Kilogramm, wodurch sie besonders gut für Langzeitstudien geeignet sind, in denen es darauf ankommt, dass die Tiere nicht so groß werden wie normale Schweine, die ausgewachsen mehrere 100 Kilogramm auf die Waage bringen.

Prof. Dr. med. vet. Eckhard Wolf ist Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie am Genzentrum und am Veterinärwissenschaftlichen Department der LMU. Wolf ist Direktor des Centers for Innovative Medical Models (CiMM) an der LMU und war Sprecher des DFG-finanzierten Sonderforschungsbereichs „Biologie der xenogenen Zell- und Organtransplantation – vom Labor in die Klinik“.

Wonach suchen Sie?